Natur und Erkenntnis

Die Kunst ist kein Spiegel, sondern ein Kristall. Sie schafft ihre eigenen Gestalten und Formen.
Oscar Wilde

Die Seele inspiziert nicht, sondern sie betrachtet. Wie … der Kristall im Felsen schaut sie ins Angesicht des Himmels.
Henry David Thoreau

Als wolle er alles auf einmal zeigen... So kennen wir das Werk von Eckart Steinhauser: „Fenster, Türen, Bank“ oder so ähnlich heißen seine Arbeiten aus Holz und Beton – dabei versteht der Bildhauer die stakkatoartige Aufzählung durchaus auch bildlich. Die meist alltäglichen Dinge gruppiert er nicht einfach umeinander, sondern gleich ineinander, und verrückt so deren banale Vertrautheit in einen irritierenden Ausnahmezustand. Es ist natürlich sofort einsichtig, dass sich die derangierten -Ensembles uns gegenüber verfremden, die Normalität wird ausgehebelt. Die Welt ist nicht in Ordnung, vieles geht drunter und drüber, wir müssen alles anders denken. Genau das macht Eckart Steinhauser in seiner jüngsten Werkphase. Hier finden sich keine herkömmlichen Gegenstände mehr. Der gelernte Modellbauer, ehemalige Meisterschüler von Hiromi Akiyama an der Karlsruher Kunstakademie und langjähriger Assistent Werner Pokornys fasst seine neuen Stahlarbeiten unter dem Begriff „Kristalle“ zusammen – und er geht einen Schritt weiter von der Warenästhetik zu einer eher konzeptionellen Ästhetik. Das mag wie ein Sprung erscheinen, doch betrachtet man Steinhausers Künstlervita, erkennt man durchaus eine Linie. Die Dingmetaphorik geht formal einher mit der Dialektik offener und geschlossener Strukturen, welche das Bewusstsein für Materie und Volumen schärfte. Das dialektische Verhältnis von Statik und Dynamik, das für Steinhauser immer schon wichtig war, prägt auch seine jüngsten Arbeiten, auch wenn es sich mehr auf einer geistig-symbolischen als auf der primär dinglich-metaphorischen Ebene abspielt – als Verhältnis von äußerlicher Ruhe und innerer Bewegtheit. Sie erweisen sich dadurch als hochkomplex und differenziert in ihrer Bildsprache.

Kristalle bereichern neben den Gesteinen und Mineralien die Erdkruste und be-leben durch ihre jahrmillionenlange Entstehung unsere Phantasie, ja unser mythisch konditioniertes Denken. Eckart Steinhauser lässt sich in der Tat von Steinen inspirieren, die er in seiner bewaldeten Umgebung findet – diese amorphen Gebilde scheinen von unerklärlichen Naturgewalten oder gar von fremder Hand in die Welt gekommen zu sein. Fraglos natürlichen Ursprungs, beflügeln diese so beredten und doch stummen Zeugen der Erdgeschichte die künstlerische Freiheit, den Stein auch anders zu denken. Indem Steinhauser den ›unförmigen‹ Stein in geometrische Strukturen überführt, die ihn selbst im Kern, je nach mineralogischer Beschaffenheit, ausmachen, schafft der Künstler freie, annähernd kristalline Formen, die geheimnisvolle, gleichsam glasklare und mathematische Strukturen evozieren. Man muss nicht die antiken Naturphilosophen bemühen, die sich die Welt atomistisch oder als Abstraktion eines waltenden Geistes erklärten, doch drängt sich dies bestechenderweise auf. Die Faszination für die kristallinen Formen wird greifbar, zumal in künstlicher Umgebung – etwa im Museum. Eckart Steinhauser macht den Stein – oder sagen wir verallgemeinernd: die mineralische Verwandlungsform – als Naturerscheinung zum Thema der Kunst. Wesentlichen Anteil hat daran der Materialtransfer: Statt Stein wählt er den Stahl, d.h. auch statt der skulpturalen die plastische Gestaltung.

Man hat bereits in Steinhausers Mobiliar-Arbeiten die Strategien der Kontextverschiebung erkannt. Sie beschreiben auch die stahlgewordenen Kristalle. Die Titelvarianten zum Serientitel – etwa „Kristall und Säule“ – sowie die Untertitel – „Brocken“, „Bogenstück“, „Modell“, „Kugel“, „Stufen“ – verweisen auf die Natur des Steins, die Architektur, die Vorbild- und Abbildthematik, die Form an sich sowie auf die Symbolsprache der Kunst. Ein weites Feld. Nicht von ungefähr haben die Romantiker wie etwa Novalis den Kristall geschätzt als unvergleichliches Sinnbild des Verstandes. Auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat in Verbindung mit dem abstrakten Kunstwerk von gereinigten „Gebilden“ gesprochen, „worin das Geradlinigte und Ebne des Kristalls in inkommensurable Verhältnisse erhoben ist, so dass die Beseelung des Organischen in die abstrakte Form des Verstandes aufgenommen und zugleich ihr Wesen, die Inkommensurabilität für den Verstand erhalten wird“. Eckart Steinhauser zeigt in seinen kristallinen Stahlplastiken die Vielfalt und Gespanntheit des Denkens und abstrahiert die Natur zu gestalteten Kunstobjekten. Wohin die Gedanken des Betrachters führen können, bleibt frei. Vielleicht folgt er Hermann Hesse, der in „Narziss und Goldmund“ schrieb: „Aus demselben unwirklichen, magischen Stoff waren nachts die Träume gewoben, ein Nichts, das alle Bilder der Welt in sich enthielt, ein Wesen, in dessen Kristall die Formen aller Menschen, Tiere, Engel und Dämonen als allzeit wache Möglichkeiten wohnten.“

Günter Baumann